Zeitenwende by Rüdiger von Fritsch

Zeitenwende by Rüdiger von Fritsch

Autor:Rüdiger von Fritsch
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau digital
veröffentlicht: 2022-05-24T08:48:43.718000+00:00


Am Vorabend des Krieges

Der Krieg in Syrien verdrängte den Konflikt, dessen Opfer die Ukraine geworden war, eine Zeit lang aus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Mit den Abkommen von Minsk war es gelungen, zumindest das schlimmste Töten zu beenden, auch wenn weiterhin fast Tag für Tag Menschen starben. Eine Reihe konkreter Probleme konnte bewältigt werden – Wasserversorgung, Rentenzahlungen, Instandsetzung von Infrastruktur. Doch der politische Kern des Problems blieb ungelöst. War schließlich einmal ein Waffenstillstand verabredet, behauptete stets die eine Seite, die andere habe die Vereinbarungen verletzt.

In immer neuen Gesprächsrunden, bilateral und im sogenannten Normandie-Format, bemühten sich Diplomaten und Politiker Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der Ukraine bis hinauf zu den Staats- und Regierungschefs um Fortschritte, diskutierten teils kleinste rechtliche und geografische Details. Unzählige Gespräche habe ich in Moskau geführt, um mich diesem dominierenden Thema der Zeit zu widmen. Russland tat nichts, den Konflikt zu lösen. Als ich Wladimir Putins außenpolitischen Berater Juri Uschakow einmal fragte, warum eigentlich immer die Bundeskanzlerin in Moskau anrufen und sich um Lösungsfortschritte bemühen müsse und ob nicht auch der russische Präsident einmal zum Hörer greifen könne, meinte er empört: »Machen Sie Witze?!?« Moskau tat so, als sei es unbeteiligt. Andererseits bezichtigte man ständig die Ukraine, an allem und jedem schuld zu sein.

Auch jenseits des Konfliktes mit Russland bemühte die deutsche Politik sich in den folgenden Jahren, die Ukraine zu unterstützen. Deutschland wurde zum weltweit größten bilateralen Geber, mehr als zwei Milliarden Euro flossen, hinzu kamen Beiträge, die Deutschland als größter Beitragszahler über die EU leistete und ein Rahmen für Kreditgarantien. In der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit unterstützte Deutschland die politische und wirtschaftliche Transformation der Ukraine, mit Schwerpunkten bei nachhaltiger Wirtschaft, Demokratie und Zivilgesellschaft, Energieeffizienz und Stabilisierung der Ost-Ukraine. Die deutsch-ukrainische Energiepartnerschaft nahm sich zum Ziel, die Ukraine dabei zu unterstützen, unabhängiger zu werden von fossilen Energieträgern, erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu fördern und das große Potenzial des Landes im Bereich der Wasserstoffgewinnung zu nutzen. Zugleich gelang es 2019 aufgrund deutscher Vermittlung, einen neuen Vertrag über den Transit russischen Gases durch die Ukraine nach Westeuropa abzuschließen, eine für das Land wichtige Einnahmequelle. Leicht war die russische Seite dabei nicht zu überzeugen; sie verwies auf die veralteten Pipeline-Systeme und die Kosten des Transits. Über siebzig deutsch-ukrainische Städtepartnerschaften stärkten den zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen beiden Ländern. Doch als Russland 2022 die Ukraine überfiel und Deutschland sich schwertat, dem bedrängten Land auch militärisch zu helfen, geriet alle Unterstützung vergangener Jahre in den Hintergrund.

Die Geschlossenheit westlichen Handelns wurde erschwert, als 2017 Donald Trump Präsident wurde. Er überzog Russland aus einer Vielzahl von Gründen mit immer neuen Maßnahmen, die nun tatsächlich Strafen und nicht länger Instrumente der Politik waren. In Washington wurden überdies Stimmen laut, man solle die Ukraine militärisch wesentlich robuster unterstützen. Länder wie Deutschland und Frankreich lehnten es grundsätzlich ab, der Ukraine Waffen zu liefern, Großbritannien hielt am Grundsatz fest, keine tödlichen Waffen zu liefern.

Die substanziellste Hilfe kam aus den USA. Im Umfang von etwa zweieinhalb Milliarden Dollar wurden Rüstungsgüter zur Stärkung der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit geliefert, seit Beginn der Trump-Administration auch schlagkräftigere Abwehrwaffen: Panzerabwehrraketen des



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